[…] In unserer Geschichte sucht Mery den Tempel Hathors, der altägyptischen Göttin des Himmels, der Musik und der Liebe, auf. Obwohl es in ägyptischen Haushalten auch den Göttern geweihte Schreine gab, möchte Mery sich dem Alltag vollständig entziehen und in die Welt ihrer Göttin eintauchen, um wieder zu sich zu finden. Altägyptische Tempel waren mit Mauern, ausladenden Säulengängen und Vorhöfen angelegt, die eine schrittweise und vollständige Entfernung vom alltäglichen Leben ermöglichten. Lobeshymnen, Gebete und Zaubersprüche waren in den Stein eingemeißelt und aufgemalt und tauchten den Tempelbezirk in ihre Magie. So wurde der Besucher auf den Kontakt mit der Gottheit vorbereitet. Je näher man dem Allerheiligsten kam, desto dunkler wurde es, um den Charakter der Heiligkeit zu unterstreichen. In das Allerheiligste drang kein Lichtstrahl und auch das Abbild der Gottheit selbst befand sich im sogenannten Naos, einem verschließbaren Schrein, der nur für die täglichen Rituale geöffnet wurde. Die Tempel waren sowohl Abbild eines Wohnhauses, als Zeichen der Wohnstätte der Gottheit, wie auch Abbild der Welt. Die Decken waren von Abbildungen des Sternenhimmels geschmückt und die Wände von Naturabbildungen. Denn von den Göttern wurde geglaubt, in der Natur und nicht in einem Haus zu wohnen. Hier wurden der Gottheit täglich Opfer dargebracht, magische Rituale vollzogen und ihr Abbild gewaschen und gekleidet.

In den meisten Fällen konnte jede Person Priester*in werden. Das Amt hing nicht vom sozialen Stand der Herkunftsfamilie oder vom Geschlecht ab, auch wenn wir in den Quellen öfter von männlichen als von weiblichen Priestern lesen. So gab es auch die Möglichkeit, ein „Teilzeitamt“ zu übernehmen, bei dem man nur einen Monat im Jahr im Tempel diente. Voraussetzung war jedoch die strenge Einhaltung von Reinheitsvorschriften, wie z. B. mehrere täglichen Waschungen, das Kürzen der Fingernägel und das Tragen sauberer Leinenkleidung.
Heutzutage findet man außerhalb der großen organisierten Religionen so gut wie keine heidnischen Tempel mehr, in denen man als Priester*in dienen kann. Als Hexe aber wirst du sicherlich schon den Altar als Ort der Begegnung mit der Geistwelt kennen. Hier nimmst du in Meditationen Kontakt mit dir selbst und der Magie auf, wirkst Zauber und Rituale und empfängst Botschaften. Einen Altar als Priester*in einer Gottheit zu weihen, erfüllt dieselben Funktionen, jedoch solltest du ihn so gestalten, dass er als physischer Wohnsitz die Energie deiner Gottheit nicht nur widerspiegelt, sondern sie auch noch verstärkt. Eine Abgrenzung zum Alltag ist wie auch bei den alten Ägyptern von großem Vorteil. Dein Altar sollte im besten Fall an einem Ort stehen, der nicht unmittelbar von allen Besuchern deines Heimes betreten werden kann, wie z. B. dein Schlafzimmer. Auch kannst du Raumtrenner oder Vorhänge nutzen, um den Altarbereich abzutrennen. Ist dies nicht möglich, kannst du ihn mit einem Schleier bedecken, den du nur für deinen Dienst lüftest. Auch kennst du als Hexe – wie die alten Ägypter auch – die Macht der Dunkelheit, die dir hilft, dich zu entspannen und dich auf die Geistwelt zu konzentrieren. Es kann daher hilfreich sein, den Altarraum abdunkeln zu können.
Der Altar schenkt dir die Möglichkeit, deine Gottheit von zu Hause aus zu kontaktieren. Denn nicht immer hat man die Möglichkeit, Rituale in der freien Natur zu vollziehen oder sie für Meditationen aufzusuchen. Achte jedoch darauf, natürliche Elemente in deine Altargestaltung zu integrieren, um den Bezug zur Natur und damit der wahren Wohnstätte der Götter herzustellen. Die alten Ägypter erreichten das mit der bildlichen Nachahmung von Himmel und Erde. Du kannst jedoch auch die Elemente deiner Gottheit direkt bereitstellen. Vielleicht dienst du einer Meeresgottheit, dann stelle eine Schale mit Wasser, Meersalz und Muscheln bereit. Oder du dienst einer solaren Gottheit, dann nutze Feuer in Form von Kerzen oder Lichterketten. Für Mondgottheiten kannst du Mondabbildungen und silberne Utensilien nutzen. Mache dich mit den natürlichen Korrespondenzen deiner Gottheit vertraut und repräsentiere sie auf deinem Altar, mit ihren Farben, heiligen Kräutern und Pflanzen, ihren Kristallen und Metallen, Attributen und den ihr geweihten Tieren. Überlege dir, welche Umgebung die Energie deiner Gottheit willkommen heißen und verstärken kann.

Im Folgenden findest du einige verallgemeinerte Beispiele und Ideen für natürliche Elemente in der Altargestaltung, jedoch solltest du dich auch hier mit den spezifischen Vorlieben und Korrespondenzen deiner Gottheit auseinandersetzen.
Sonnengottheiten
- Gelbe und weiße Kerzen
- Blumen, z. B. Margeriten, Ringelblumen, Sonnenblumen
- Getrocknete Kräuter und Gewürze, z. B. Angelika, Johanniskraut, Kamille, Kurkuma, Lorbeer, Wacholder, Weihrauch
- Kristalle und Metalle, z. B. Bergkristall, Bernstein, Citrin, Gelber Topaz, Gold, Karneol, Sonnenstein, Tigerauge
- Lichterketten, Lichtspiele, Spiegel, Sonnenabbildungen
Mondgottheiten
- Weiße, silberne, graue, lila Kerzen
- Blumen, z. B. Lavendel, Lilie, Iris, Jasmin, Mondblume, Passionsblume
- Getrocknete Kräuter und Gewürze, z. B. Beifuß, Mondraute, Myrrhe, Sandelholz, Wermut
- Kristalle und Metalle, z. B. Amethyst, Aquamarin, Labradorit, Mondstein, Selenit, Silber
- Mondabbildungen, Wasser, Aquarien
Erdgottheiten
- Kerzen in allen Farben
- Blumen, Kräuter, Zimmerpflanzen
- In Erde gepflanzte Samen
- Zimmerbrunnen, Wasserschalen, Kristalle aller Art
- Vulva-Abbildungen
Unterweltsgottheiten
- Schwarze Kerzen
- Blumen, z. B. Affodillen, Narzissen, Orchideen, Schlafmohn, schwarze Rosen
- Getrocknete Kräuter und Gewürze, z. B. Baldrian, Drachenblut, Eisenkraut, Heidekraut, Königskerze, Patchouli, Thymian
- Kristalle, z. B. Kyanit, Obsidian, Onyx, Rauchquarz, schwarzer Turmalin
- Friedhofserde in Schalen, Tierknochen und – schädel
Liebesgottheiten
- Blumen, z. B. Apfelblüten, Gänseblümchen, Lilien, Nelken, Rosen, Veilchen
- Getrocknete Kräuter und Gewürze, z. B. Fenchel, Frauenmantel, Katzenminze, Koriander, Lavendel, Rosmarin, Zimt
- Kristalle und Metalle, z. B. Granat, Jade, Kupfer, Lapislazuli, Mondstein, Rhodochrosit, rosa Turmalin, Rosenquarz
- Wasser, z. B. Zimmerbrunnen, Wasserschalen, Aquarien
- Klangspiele
Kriegsgottheiten
- Rote, orange, schwarze Kerzen
- Metall, insbesondere Eisen, z. B. in Dolchen, Kesseln, Schüsseln, im Altartisch selbst
- Kristalle, z. B. Blutjaspis, Granit, Hematit, Meteorite, Moldavit, Sardonyx
- Schutzzeichen und – sigillen
- Nägel, Messer, Schilde
Abbilder
Im alten Ägypten bestand noch eine engere Verbindung zwischen Bildern und Magie und so verwundert es nicht, dass auch die Abbilder der Götter als in sich magisch betrachtet wurden. Es wurde geglaubt, dass ein Teil der Seele der Gottheit, das sogenannte „Ka“ dem Abbild innewohnt. Die Waschungen und die Ernährung der Gottesstatue im Naos war demnach also nicht nur symbolischer Natur. Die monotheistischen Religionen haben diesen Glauben oft verspottet, denn wie kann eine überirdische und übernatürliche Gottheit in einem vom Menschen entworfenen, behauenen und bemalten Stein leben? Oder in zusammengemischter Farbe? Doch wurde dieser Glaube oft missverstanden. Ein Abbild von etwas trägt immer die Information des Urbildes in sich. Zeichne ich einen Baum, trägt die Zeichnung die Information des Urbildes „Baum“ in sich. Genauso tun das auch Worte und eben die Abbilder von Gottheiten. Natürlich lebt in der Materie des Abbildes nicht die gesamte Seele der Gottheit als Einheit, die nun nirgendwo mehr als hier zu finden ist. Doch sie trägt die geistige Information, einen Teil ihrer metaphysischen Essenz in sich. Und so stellt auch das „Ka“ als Lebenskraft nur einen Teil des Seelischen bei den Ägyptern dar.

Für Priester*innen stellen Abbilder von Gottheiten eine schöne Möglichkeit dar, diese Essenz zu verehren und sich ihr zu öffnen. In den meisten alten Kulten wurden die Abbilder von den Priester*innen zunächst geweiht. So wie im Tempel der Hathor wurden sie dann jeden Tag gewaschen und ihnen wurden Speisen und Tränke als Opfergaben dargebracht. Durch die Weihe wurde die Information der individuellen göttlichen Essenz in der Materie verankert. Das Abbild wie eine Gottheit zu behandeln, bedeutete Verehrung für ihre geistige Essenz zum Ausdruck zu bringen. So wurde die Gottheit von der metaphysischen in die physische Welt geholt. Wie schon erwähnt befand sich das Abbild einer ägyptischen Gottheit außerhalb des aktiven Dienstes im abgedunkelten Naos, einem kleinen verschließbaren Schrein. So wurde es noch weiter von der alltäglichen Welt entfernt und seine Heiligkeit verstärkt.
Wahrscheinlich besitzen viele Hexen Abbilder von Gottheiten, Tiergeistern oder anderen Geistführern. Möchtest du ihnen als Priester*in dienen, kannst du ein Abbild weihen und die jeweilige Gottheit bitten, ihre Essenz in ihm noch stärker zu verankern und auf deinem Altar, deinem Tempel, gegenwärtig zu sein. Tägliches Waschen und „Ernähren“ der Gottheiten war früher durch den Einsatz von Priestern in wechselnden Schichten einfacher umzusetzen und ist heutzutage wohl eher nicht mehr praktikabel wie auch nicht unbedingt erforderlich. Du wirst durch den Kontakt zu deiner Gottheit besser wissen, welcher Dienst an ihren Abbildern angebracht ist. Schöne Möglichkeiten sind aber z. B. das regelmäßige Salben des Abbildes mit Kräuterölen, das Hinausstellen in Sonnen- oder Mondlicht und natürlich das Beten, Räuchern, Kerzenentzünden und Opfern vor ihr. Auch kannst du sie außerhalb deines Dienstes mit einem Tuch bedecken, um ihre Heiligkeit von alltäglichen Einflüssen abzuschirmen.
Ritual: Bildweihe
Dieses Ritual eignet sich für Götterfiguren. Natürlich kommen auch Ausdrucke oder Zeichnungen als Abbilder infrage, jedoch erschwert Papier eine Weihe mit Wasser, Öl etc. Gehe aber auch bei deiner Figur sicher, dass ihr Material die folgende Behandlung aushält. Wenn nicht, tausche die betroffenen Elemente durch sichere Alternativen aus.
Was du dafür brauchst:
- Deine Götterfigur
- Salbei und Obsidian in Wasser eingelegt
- Zwei weiße Kerzen
- Ein getragenes Kleidungsstück
- Blumen, die deiner Gottheit entsprechen
- Pflanzenöl
- Ätherisches Weihrauchöl
Lege an einem Schwarzmond-Tag Salbei in Wasser ein. Mit einem Obsidian rühre dreimal gegen den Uhrzeigersinn darin umher und sprich:
„Reinige alles Alte, löse alles Feste, bereite einen heiligen Ort, für [Gottheit] das Beste.“
Lasse das Wasser bis nachts ziehen. Tauche deine Figur dreimal in das Wasser oder – etwas schonender – tupfe sie mit einem mit dem Wasser getränkten Tuch ab. Visualisiere, wie sich die alten, an ihr haftenden Energien und Informationen lösen.
Mit dem zunehmenden Mond am nächsten Tag kannst du mit der Bildweihe beginnen. Entzünde zwei weiße Kerzen und platziere ein getragenes Kleidungsstück ausgebreitet in ihre Mitte. Darauf gib die Blumen deiner Gottheit und auf die Blumen platziere ihre Figur. Komme zur Ruhe und rufe deine Gottheit an. Visualisiere, wie sich ihre Anwesenheit verdichtet. Nimm etwas von dem Pflanzenöl, das du mit einigen Tropfen Weihrauchöl vermischst. Hebe deine Hände und bitte deine Gottheit ein wenig ihrer Energie in der Figur zu verhaften. Visualisiere, wie deine Hände anfangen zu leuchten und reibe die Figur ein. Dann lege sie hin, bestreue sie mit den Blumen und wickle sie in dein getragenes Kleidungsstück ein, um eure Energien zu verbinden. Danke deiner Gottheit und beende das Ritual. Hole die Figur nach drei Tagen heraus und platziere sie auf deinem Altar. […]
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