El Amarre (Die Bindung) – Filmrezension

November ist immer noch Halloween-Zeit. Es ist dunkel, es ist kalt, aber die besinnliche Weihnachtszeit hat noch nicht so ganz begonnen. Was gibt es also Besseres, als sich Essen zu bestellen, sich in einen Berg warmer Decken einzuwickeln und einen Horrorfilm zu schauen? Dazu muss ich sagen, dass ich persönlich Horrorfilme nur selten schaue. Als Hexe glaube ich an die Existenz von Geistern, nicht nur von guten, und so besitzen für mich insbesondere Filme, in denen es um Dämonen und Besessenheit geht, einen wahren Kern. Auch gefällt mir die Energie, die solche Filme generieren nicht. Unfreiwillig trage ich sie noch über Tage mit mir mit. Wem es ähnlich geht, sich aber trotzdem zumindest ein kleines bisschen gruseln möchte und magische Themen liebt, dem kann ich den mexikanischen Film „El Amarre“, zu deutsch „Die Bindung“, empfehlen. Der Film der argentischen Regisseurin Tamae Garateguy wurde 2021 in Mexiko für Amazon Prime produziert. Und tatsächlich sind es gerade seine künstlerischen Schwächen, die ihn perfekt für schwache Nerven machen. Doch dazu später mehr. (Vorsicht! Spoiler-Alert!)

© Amazon Prime

Der Film beginnt in Vogelperspektive über dem bekannten Hexenmarkt Mercado Sonora, mit seinen gelben Zelten, die die Markthalle umgeben. Und damit setzt er auch schon das Thema – Hexerei. Wir werden von Julieta und Elena, zwei Freundinnen, mitgenommen, die zwischen Ständen aus Kräutern, Kerzen, Tierknochen und Figuren der Santa Muerte hindurch lachend und neugierig nach etwas zu suchen scheinen. Julieta – unsere Protagonistin – bleibt an der schwarzen Statue eines Kindsheiligen stehen. Um den erhobenen Finger des Kindes ist ein rotes Band gebunden, das noch eine wichtige Rolle spielen wird. In den Bann gezogen berührt sie das Band, wird aber von einem Mann unterbrochen, der ein in die Haut geritztes Kreuz auf der Stirn trägt. Er fragt, was sie will, woraufhin Elena nach Zaubern für Erfolg und Beförderungen im Job fragt. Der Mann verweist sie an eine Hexe im nächsten Stand mit dem Namen „Komm zu mir“, ebenfalls eine Andeutung an das Thema und Ende des Films. Die Geschäftsinhaberin Santana, eine ältere Frau mit langen Haaren begrüßt sie und gibt ihnen das Zauberpuder, wonach sie gesucht haben. Doch Elena will noch nicht gehen und überredet Julieta, einen Liebeszauber zu kaufen, um Daniel, einen ihrer Kollegen, dazu zu bringen, sich in sie zu verlieben.

Am nächsten Tag treffen wir im Parkhaus der Architekturfirma, in der Julieta und Elena arbeiten, zum ersten Mal auf Daniel. Julieta bestäubt sich in ihrem Auto schnell mit dem Liebespuder und begrüßt dann nervös ihren Schwarm. Daniel sieht gut aus und Julieta kann uns schauspielerisch absolut davon überzeugen, dass sie in ihn verknallt ist. Während Elena tatsächlich ihre Beförderung erhält, bleibt das Liebespuder bei Julieta jedoch wirkungslos. Daniel ignoriert sie und wirkt abweisend. Und das hätte er wohl auch den gesamten Film lang bleiben sollen, denn bis hierher ist seine schauspielerische Leistung noch ganz nett, weil kaum existent.

Nach Feierabend feiern Elena und Julieta die Beförderung mit Freundinnen in einer Bar. Sie werden betrunkener und betrunkener und als sie nur noch zu zweit sind, schlägt Julieta vor, zurück zum Mercado Sonora zu gehen. Ihre Chemie auf dem Bildschirm macht Spaß und dann wir sehen schon, wie die beiden durch den dunklen und geschlossenen Markt stolpern, bis sie Santanas Laden erreichen. Er ist als einziger hell erleuchtet. Die beiden klopfen und grölen, bis Santana herauskommt. Die beiden Freundinnen beschweren sich darüber, dass der Liebeszauber nicht gewirkt hat. Santana vermutet, dass sie etwas Stärkeres braucht und Julieta willigt ein. In einem Hinterzimmer voller Statuen, Kerzen und magischer Utensilien entzündet Santana eine Räucherung und bittet Julieta sich auf Daniel zu konzentrieren. Dann bittet sie um ein Foto von ihm. Julieta soll siebenmal seinen Namen wiederholen und sieben Tarotkarten ziehen. Santana fordert sie auf, sich in die Mitte des Raumes zu stellen und holt einen lebenden Kolibri aus einem Käfig – ein typischer Bestandteil echter mexikanischer Liebesmagie, denn der Kolibri steht hier für Glück und Liebe. Sie beginnt eine Inkantation. Die Musik wird bedrohlicher und bedrohlicher, bis sie den kleinen Vogel mit beiden Händen zerquetscht und so ein Blutopfer bringt. Da klingeln bei uns Hexen natürlich alle Alarmglocken (abgesehen von dem Tiermissbrauch), denn Blutopfer gehören bekannterweise zu der stärksten und bindendsten Arten von Magie. Sie beschmiert Julieta mit dem Blut und bindet das Foto von Daniel mit einem roten Faden um einige Kräuter und zwei weiße Kerzen (die, wie viele wahrscheinlich auch wissen, jeweils einen Teil des Paares darstellen). Am anderen Ende bindet sie den Faden um Julietas linken Ringfinger, eine symbolische Andeutung auf die Ehe als Bindung, jedoch pervertiert durch magischen Zwang. Während sie weitere Zaubersprüche spricht, legt sie das Bündel in einen Metalleimer und setzt ihn in Brand. Dabei hat Julieta eine Vision von einem brennenden Auto. Wir hören einen Mann schreien. Zuhause angekommen legt sie die geschmolzenen Überreste des Bündels unter ihr Kopfkissen. Santanas Voice-Over erklärt, dass das Gewicht ihre Kopfes Gewicht auf Daniel ausüben wird und er so ihre Präsenz immer spüren wird.

© Amazon Prime

So weit so gut. Ein typischer schwarzmagischer Zauber eben mit einigen mexikanischen Elementen. Doch natürlich wissen die magisch Praktizierenden unter uns, wohin das führen wird.

Am nächsten Tag erweist sich der Zauber wenig überraschend als wirksam. Als Julieta von der Arbeit nach Hause kommt und ihre Wohnungstür hinter sich schließen will, steht Daniel plötzlich vor ihr. Der kurze bedrohliche Moment wird durch Julietas Einladung an Daniel unterbrochen, doch in die Wohnung zu kommen. Sie küssen sich und haben Sex, wobei Daniel dominant auftritt. Julieta beschwert sich, dass er zu schnell ist, doch er erwidert nur: „Ist mir egal. Ich will dich.“ Julieta zögert, doch gibt sich ihm letztendlich hin. Es löst ein unangenehmes Gefühl in der Magengegend aus, was die volle Absicht der Regisseurin ist. Denn sexuelle Gewalt an Frauen zu thematisieren (ein großes Problem in Mexiko) ist eines der erklärten Ziele des Films und die Umsetzung gelingt Tamae Garateguy auch im Folgenden definitiv.

Zunächst scheint Julieta erfreut über den Erfolg des Zaubers zu sein, doch dann bemerkt sie verschiedene Warnzeichen, wie z. B. dass Daniel ihre Wohnungsschlüssel kopiert, ohne sie zu fragen, und dass sie häufig von einer Frau namens Gabriela angerufen wird, die sie als Exfreundin vor Daniel warnt, er sei gewalttätig. Eines Tages wird Daniel im Büro eifersüchtig, als er beobachtet, dass sein Chef mit Julieta redet. Er packt sie und schreit sie an, wird dann aber von der Security abgeführt und entlassen. Spätestens hier zeigt sich leider die Schwäche des Films – nämlich Daniel, bzw. dem Schauspieler Vadhir Derbez. Sein hübsches Gesicht täuscht nicht über die Tatsache hinweg, dass es ihm einfach nicht gelingen will, starke Emotionen glaubhaft zu vermitteln. Wut, Eifersucht, all das wirkt gekünstelt und löst Fremdscham aus. Es ist schade, denn der gesamte Film, und das, was Sofía Espinosa (Julieta) und Fabiola Guajardo (Elena) scheinbar mühelos aufgebaut haben, wird dadurch in Mitleidenschaft gerissen. Doch schauen wir weiter. 

Als Julieta nach Hause kommt, wird sie von einem wütenden Daniel empfangen, der ihr die Schuld an ihrer Entlassung gibt und sie brutal ins Gesicht schlägt. Es ist einer der echten Schockmomente des Films, der absolut nichts mit Geistern zu tun hat. Julieta flüchtet in ihr Zimmer und schließt sich ein, während Daniel ihr Wohnzimmer verwüstet. Wieder alleine kehrt die verängstigte Julieta zu Santana zurück – ihrer einzigen Hoffnung –, um sie zu bitten, die Bindung rückgängig zu machen. Doch diese warnt sie, dass sie nicht rückgängig gemacht werden kann, da es sich um einen mächtigen Zauber handelt, der sogar über Leben und Tod hinausgeht. Elena schlägt vor, das Wochenende in der Hütte ihrer Großmutter außerhalb von Mexico City zu verbringen, und so fahren die beiden durch die mit Nadelwäldern bewachsene Hochebene. Daniel kommt ihnen auf die Spur. Nachts bricht er in das Haus ein und versucht, Julieta anzugreifen. Doch Elena und Julieta wehren sich und töten ihn in Selbstverteidigung. Schnell beschließen sie, Daniels Tod zu vertuschen, nehmen sein Auto und verbrennen es mit ihm darin. Julietas frühere Vision wird wahr.

Nach ein paar Tagen scheint Julieta endlich wieder ganz die Alte zu sein, bis sie visuelle und akustische Halluzinationen von Daniel hat, der ihr mit Verbrennungen erscheint und sie weiter zu quälen droht. Obwohl Julieta zunächst glaubt, dass es sich um reine Wahnvorstellungen handelt, muss sie, als sie mit ihrem Chef im Büro bis in die Nacht Überstunden macht, mit Entsetzen feststellen, dass Daniels Geist real ist. Die Lichter beginnen zu flackern und erlöschen vollends. Im blauen Licht der Notbeleuchtung bewegen sich Objekte. Zum ersten (und vielleicht einzigen) Mal kommt ein gruseliges Gefühl auf, das mich die Decke über den Kopf ziehen lässt. Doch leider (bzw. für mich zum Glück) schafft der Film es nicht, diese Spannung aufrechtzuerhalten. Unheimliche Filme leben vom Unsichtbaren, vom Nicht-Fassbaren und insbesondere von Subtilität. Subtilität ist aber ist aber alles andere als das, was „El Amarre“ bietet. Denn jetzt hören wir Daniels Stimme, nicht als Flüstern, sondern ganz platt laut Julietas Namen singen. Es wirkt albern. Die gruselige Atmosphäre ist dahin. Daran ändert auch nichts, dass Julietas Chef in der nächsten Szene von Daniels Geist in den Aufzug gezerrt und grausam getötet wird. 

© Amazon Prime

Julieta taucht jetzt unter, doch Elena findet sie in ihrer fast leeren Wohnung. Julieta sitzt verstört auf dem Boden vor der Wand und spricht für Elena unsichtbar mit Daniel, der sie und ihre Freundin bedroht. Und auch hier wird klar, dass Daniels Figur der größte Schwachpunkt ist. Man sieht ihn jetzt am Esstisch sitzen, was die Gefahr des Unsichtbaren mal wieder auflöst. Seine Brandwunden sollen bedrohlich und abstoßend wirken, jedoch machen sie ihn im Widerspruch zu seiner angestrebten Geisterhaftigkeit nur umso menschlicher und greifbarer. Als Elena versucht, Julieta ins Krankenhaus zu bringen, wird sie von Daniels Geist in die Luft gehoben und durch das Fenster auf die Straße geschleudert, woraufhin sie stirbt. Julieta wird von Daniel vergewaltigt. Für beides hätte eine Unsichtbarkeit Daniels filmtechnisch wahre Wunder gewirkt. So bleiben die Szenen platt und zielen zu angestrengt auf einen Schockfaktor, auch wenn insbesondere die Länge der Vergewaltigung einem den Magen umdreht.

Julieta kann sich befreien und flieht zurück auf den Marktplatz, um Santana noch einmal um Hilfe zu bitten. Diese erwidert, dass es einen gefährlichen Zauber gibt, mit dem Julieta die Bindung selbst durchtrennen kann. Um dies zu erreichen, muss sie sich an die Grenze zwischen Leben und Tod begeben, wo sie auf Daniels Seele trifft. Um frei zu sein, muss Julieta die Bindung durchtrennen und in ihren Körper zurückkehren, bevor das Feuer des magischen Kreises aus brennenden Kräutern erlischt. Julieta willigt ein, den Zauber auszuführen, womit wir zum Highlight des Films kommen. Die Umsetzung der folgenden Szenen hat mich stark an meine eigenen Geistreisen erinnert, in der ich in Trance die geistige Welt voller Symbole betrete und mit ihnen arbeiten kann. Ihre Veränderung bewirkt oft auch eine Veränderung in der physischen Welt. Aber zurück zu Julieta. Sie legt sich in den magischen Kreis und wird von Santana mit Gebeten und Zaubersprüchen in Trance versetzt. Dann wacht sie in einer strahlend weißen Umgebung in einem weißen Bett auf. Nur ein blutroter Faden prangt um ihren Ringfinger gewickelt. Als sie aufsteht, wird klar, dass der Faden zu einer anderen Person im Bett führt, zu Daniel, der an sie gebunden ist. Julieta geht in ein weißes Badezimmer, um eine Schere zu finden. Plötzlich ist der Faden aber zu einem dicken Seil geworden, dass nicht mit einer Schere durchgeschnitten werden kann. Daniel zieht sie am Seil zu sich zurück und sagt ihr, dass sie für immer zusammenbleiben werden. Julieta bekommt Panik. Jeder Schnitt der Schere fügt ihr körperlich Schaden zu. Santanas Stimme erklärt, dass der Faden nicht durchtrennt werden kann. Es bleibt Julieta also nur nach einer Möglichkeit zu suchen, sich anderweitig aus ihm zu befreien. Jetzt sieht sie sich jedoch in einem leeren weißen Raum mit dem Rücken zu sich stehen, ihr Körper ganz in das rote Seil gefesselt und geknotet. Dann befindet sie sich in der Luft aufgehängt mit den Seilen überall um ihren Körper gefesselt, ähnlich dem japanischen Shibari. Sie bricht sich den Ringfinger, um ihn von dem Seil zu befreien, doch Daniel lacht sie nur aus. Die Kräuter beginnen zu erlöschen. Santana fleht sie an, zurückzukehren. Mit einer scharfen Spiegelscherbe schneidet sich Julieta den Ringfinger ab. Es gelingt ihr, die Bindungen lösen sich. Sie geben ihren Körper frei. Ihr Leben spielt sich wie ein Film vor ihr ab. Dann erwacht sie in einem Bett und reißt ihre Augen auf. Schwer atmend, aber erleichtert, dass sie es geschafft hat, setzt sie sich auf. Neben ihr liegt Daniel, den roten Faden noch immer sichtbar an seinem Finger. „Endlich sind wir zusammen“, sagt er und der Abspann erscheint.

© Amazon Prime

Es ist das Ende, das mich doch noch vom Film überzeugt hat, weil es die magische Wirklichkeit beeindruckend und akkurat wiedergibt. Als Hexen werden wir manchmal dazu verleitet zu glauben, dass alles, was wir hinaussenden einfach wieder aufzulösen ist. Dieser Film erinnert daran, verantwortlich mit der Hexerei umzugehen. Auch wird deutlich, was passieren kann, wenn Liebe pervertiert wird. Wie gesagt ist der Film künstlerisch wahrscheinlich nichts für echte Horror-Liebhaber. Dazu besitzt er zu viele Schwächen. Denjenigen, die sich aber gruseln wollen, ohne sich zu sehr zu gruseln, wird er aber jedoch definitiv Spaß machen.


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