Bin ich eine Hexe oder habe ich eine Psychose?

Das kollektive Erwachen ist schon länger im vollen Gange und damit fast schon ein Wettlauf, wie man noch spiritueller, noch mächtiger, noch magischer leben kann. Viele Menschen entdecken zum ersten Mal die Kraft ihres eigenen Geistes und nicht nur das – sie entdecken auch, wie sie durch Meditation, Gebet, Visualisierung und Energiearbeit Kontakt zu anderen Welten und Wesen aufnehmen können. In vielen Interviews betone ich immer wieder, wie sehr ich mich darüber freue, dass so viele Menschen zu ihrer Spiritualität finden, auch wenn es evtl. nur ein Trend ist, der in den Mainstream gefunden hat. Mittlerweile hält der Trend aber schon mehrere Jahre an und zumindest was Deutschland betrifft, wird er sich wahrscheinlich noch verstärken. In all der Aufregung über die „neue“ Erkenntnis der Magie, mischen sich aber immer wieder fragwürdige, grenzwertige und schlicht gefährliche Entwicklungen. Dann werden Menschen, die auf TikTok eindeutig psychotische Verhaltensweisen zeigen, massenhaft in die Kommentare geschrieben, dass sie eine besondere Gabe haben und es wird sie nach ihren heftigen und absurden Halluzinationen gefragt, was ihre Psychose weiter verstärkt. Menschen glauben plötzlich, dass sie mit genügend geistiger Übung zwischen Realitäten hin und her springen und Harry Potter in Hogwarts besuchen können (auch als Shiften bekannt). Dort „verbringen“ sie dann angeblich Monate und kommen aber in demselben Moment zurück, in dem sie diese Welt verlassen haben.

Doch wenn Hexen glauben, dass sie tatsächlich Botschaften von Geistwesen erhalten und die Realität beeinflussen können, wo liegt dann die Grenze zwischen Magie und Psychose?

Tatsächlich wussten die Menschen schon immer, dass die Grenze nicht so klar definiert ist. Auch finden wir in der Geschichte immer wieder Warnungen davor, durch die Magie dem Wahnsinn zu verfallen. Es wurde davor gewarnt, sich auf den Kontakt mit Elfen einzulassen, denn sie könnten einen in ihre Welt mitnehmen, in der die Zeit anders verläuft (interessante Parallele zum Shiften) und Menschen wahnsinnig machen. Auch wurde auf die Gefahr von Trancezuständen hingewiesen und dass diese, wenn man zu schnell aus ihnen erwacht, in den Wahn oder noch schlimmer in den Tod führen können.

Magie und Wahn liegen nah beieinander, was daran liegt, dass sie beide durch den Geist und durch veränderte Geisteszustände wirken. Jede Hexe weiß, dass ein leichter Trancezustand für jede Art von magischer Arbeit unabdingbar ist, für Zauber, Rituale, das Hellsehen und Kommunizieren mit Geistwesen. Das Wort „Psychose“ stammt von dem griechischen Wort „Psyche“ für Seele oder Geist und „-osis“ für Zustand. Also ein abnormaler Geisteszustand, der von Halluzinationen, Paranoia, Realitätsverlust und Ich-Störungen geprägt ist. Jetzt ist ein Trancezustand aber auch neurowissenschaftlich nicht mit einem psychotischen Zustand vergleichbar. Während einer leichten Trance produziert das Gehirn hauptsächlich Alpha- und Theta-Frequenzen, die mit tiefer Entspannung bei gleichzeitiger erhöhter Konzentration einhergehen. Bei einer Psychose hingegen, insbesondere bei Schizophrenie, wurden abnormale Gamma-Aktivitäten des Gehirns festgestellt, die für auditive Halluzinationen und Angstzustände verantwortlich gemacht werden. Magie und Psychosen sind also definitiv nicht dasselbe. Da Magie aber direkt in Gehirnprozesse eingreift, kann es bei Menschen, die eh schon eine Disposition zu psychischen Krankheiten haben, schnell zu einem Auslöser dieser kommen. Lange und anstrengende Meditationen mit intensiven Visualisierungen, das obsessive Nachdenken über den Kontakt zu anderen Welten/Außerirdischen, das Konzentrieren auf den Empfang und das Deuten von Zeichen und Botschaften, all das kann eine latente Psychose sowie Zwangsgedanken und –verhalten verstärken. Dann hat man Angst davor, Negatives nur durch reines Denken zu manifestieren oder fühlt sich durch negative Energien belastet, nur weil man meint, ein schlechtes Zeichen vom Universum erhalten zu haben.

Ich hatte auf meinem Instagramaccount über meine Erfahrung mit Bufo Alvarius berichtet. Die extreme psychische Erfahrung eines der stärksten Psychedelika der Welt hat selbstverständlich auch Spuren in meinem Gehirn hinterlassen. Bis vor ca. einem halben Jahr hatte ich bei Meditationen und Geistreisen, sogenannte Flashbacks, insbesondere das Gefühl einer extremen fast schon unendlichen Expansion meines Geistes durch meinen Kopf. Alleine das würde ich nicht als Psychose bezeichnen, doch als meine Mutter Anfang des Jahres starb und ich erneut mit Panikattacken und heftiger Stressbelastung zu tun hatte, erfuhr ich zum ersten Mal, was es heißt an der Grenze zum Wahn zu kratzen. Nachts begannen meine Gedanken rasend schnell und wirr durcheinanderzuwirbeln. Immer wieder stoppten sie mittendrin und veränderten sich. Je mehr Angst mir dieser Zustand machte, desto schlimmer wurde er. Dann begann alles um mich herum plötzlich bedrohlich und angsteinflößend zu wirken. Das merkwürdig gelbe Licht meiner Nachttischlampe, die Umrisse und Formen der Möbel… Um mich zu beruhigen, schloss ich meine Augen und meditierte. Die extreme Expansion meines Bufo-Trips begann, doch führte sie mich nicht in die Entspannung, sondern direkt in die Hölle. Ich war ganz alleine in unendlicher Dunkelheit. Nur ich existierte in einem ewigen Nichts und wurde mit uralten christlichen Ängsten vor der Hölle konfrontiert. Ich verlor meinen Verstand. Tagsüber lösten sich meine Grenzen auf, emotional und mental. Es war als könnten andere Menschen direkt in mich hineinwandern, mit all ihren Gefühlen, Ängsten, Gedanken. Ich hatte keine Schutzmauer mehr, egal, was ich tat. Alles bestand nur noch aus einem Strom aus Information durch mich hindurch. Und der war abgesehen von der Angst, dir er mir einjagte, oft auch interessant. Wenn ich meine Augen schloss, fand ich mich in einer anderen Dimension wieder, in der ich Wesen wahrnahm, die mir tiefe Erkenntnisse und Erklärungen mitteilten. Ähnlich wie es auch durch Geistreisen oder Orakelmethoden geschieht, nur ohne Medium, sondern direkt als Erfahrung.

War ich also auf dem besten Weg in eine Psychose (oder sogar schon drin)? Aus psychiatrischer Sicht definitiv! Bestand alles nur aus sinnfreiem Wahn? Nein, vieles habe ich dann erst richtig verstanden, tiefe Erkenntnisse zu „Himmel“ und „Hölle“, die noch immer einen Sinn ergeben. Deswegen verstehe ich die Menschen, die in diesen psychischen Grenzerfahrung trotzdem einen spirituellen Wert sehen. Letztenendes wissen auch wir nicht, was Realität und was Wahn ist. Jedes unserer Gehirne produziert eine abweichende Realität. Manche Gehirne schwächer und manche Gehirne eben sehr viel stärker, sodass wir es als krankhaft einstufen. Wir wissen aber nicht mit Sicherheit, ob es anderen Wesen möglich ist, uns telepathisch zu kontaktieren oder ob Halluzinationen nicht doch gewisse „wahre“ Informationen überbringen.

Doch hier ist der Knackpunkt für die gesamte spirituelle Szene! Wir sind zwar Hexen, aber vor allem anderen noch sind wir Menschen. Wir leben auf dieser Erde und in dieser menschlichen Gemeinschaft. Und wir müssen in der Lage bleiben, in dieser Realität auch geistig zu funktionieren. Dazu gehört eine stabile mentale Gesundheit.

Du kannst deine Magie nicht zu deinem Wohl und zum Wohl anderer Menschen einsetzen, wenn du den Bezug zur irdischen Realität verlierst. Deine Aufgabe ist es nicht, dich ihr durch die Magie oder psychotische Vorstellungen zu entziehen wie durch eine Droge, sondern im Gegenteil – umso geerdeter und achtsamer im Hier und Jetzt zu leben und zu dienen. 

Wenn du dir unsicher bist, ob sich deine Gedanken noch in einem normalen, spirituellen Rahmen bewegen oder aus psychiatrischer Sicht schon in eine ungesunde Richtung gehen für die du Hilfe brauchst, kannst du dich folgendes Fragen:

  • Kann ich jederzeit aufhören, mir gewisse Dinge vorzustellen oder sind meine Gedanken obsessiv? Z. B. „Was, wenn ich aus Versehen, nur durch einen Gedanken etwas Negatives manifestiert habe?“
  • Überwachst du deine Gedanken ständig durch Denkverbote, damit sie nicht aus Versehen etwas Negatives manifestieren?
  • Machen dir spirituelle Vorstellungen große Angst? Hast du extreme Angst, dich mit „negativen Energien“ zu belasten?
  • Hast du Schlafprobleme deswegen?
  • Kannst du deine Gefühle nicht mehr von den Gefühlen anderer unterscheiden?
  • Befasst du dich obsessiv mit dem Deuten von Zeichen? Z. B. Zahlenkombinationen, Buchstaben etc.

Mache dir bewusst, dass du nicht der Magie dienst, sondern die Magie dir. Wenn du merkst, dass sie die Kontrolle über dein Leben übernimmt und du ständig in einem Gefühl der Angst deswegen lebst, suche dir psychologische Hilfe. Das mag sich insbesondere für Hexen zunächst abschreckend anhören. Wer will schon einer psychologisch ausgebildeten Person erzählen, dass man an Geister, Magie und Gedankenmanifestation glaubt? Dann wird man doch gleich eingewiesen. Jedoch gibt es auch Psychologen, die selbst einen spirituellen Hintergrund besitzen und zwischen Glaube und psychischen Problemen unterscheiden können. Auch der Besuch beim Psychiater kann ratsam sein. Dein Gehirn ist ein Organ wie jedes andere und kann genauso verletzt sein wie jedes andere. Ein Psychiater kümmert sich darum, dass die Gehirnchemie wieder ins Gleichgewicht kommt.

All das sind meine persönlichen Erfahrungen und Ratschläge. Im nächsten Artikel hören wir aber, was psychologische Psychotherapeut*innen und selber Hexen zu dem Thema zu sagen haben und ihr werdet einige Anlaufstellen finden, bei denen ihr in eurer Spiritualität ernstgenommen werdet.


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Ein Kommentar

  1. Hallo Sonja,

    Ich habe deinen Beitrag mit großen Interesse gelesen und konnte mich in vielen Punkten wiederfinden. Er ist für mich nachhaltig ein wichtiger Beitrag. Vielen lieben Dank dafür.

    Liebe Grüße,

    Heikr

    Gefällt 1 Person

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