Ayahuasca – Und eine Unterschätzung

Es ist 11 Uhr morgens an einem Sonntag. Die Luft ist kühl und es riecht nach Feuerholz und Gebratenem. Sonnenstrahlen wärmen meine Haut, während ich auf meine beiden Freundinnen warte, die natürlich nach mexikanischer und nicht nach deutscher Zeit an unserem Treffpunkt ankommen werden. Hinter mir öffnen die Tore zum Hexenmarkt. Zwischen verzierten Säulen und unter einem niedrigen Kreuzgewölbe, das an gotische Bauten erinnert, sehe ich Stände voller Kerzen, Göttinnenfiguren und Räucherungen. Da ich alle meine Hexenutensilien in Deutschland gelassen habe, habe ich diesen Markt dringend nötig, um mich wieder mit magischen Dingen einzudecken. Auf meiner Einkaufsliste stehen Pflanzen, ein paar Kristalle und evtl. ein feuerfester Hexenkessel, so wie ich ihn in Deutschland bis zum Umkippen in meinen Ritualen benutzt habe.

Meine Freundinnen kommen endlich an und dann geht es schon hinein. In Mexiko bin ich überdurchschnittlich groß und so wandert mein Blick über den Köpfen der anderen Besucher hin und her. Plötzlich werde ich von meiner Freundin gleich an den zweiten Stand gezogen. Sie schaut sich die Räucherbündel an, aber Räucherbündel sind so einfach selbst herzustellen (auch wenn ich das fast nie mache, haha), dass ich nicht unbedingt viel Geld dafür ausgeben würde. Doch dann fällt mein Blick auf einige kleine Fläschchen. Die Verkäuferin, ganz in schwarz gekleidet mit magischen Tattoos und einer Ausstrahlung so tief wie das dunkle Meer, beginnt in einem offensichtlich viele Male wiederholten Wortschwall ihr Sortiment vorzustellen. Ich verstehe zwar viel Spanisch, aber bei der Geschwindigkeit muss ich mich doch sehr konzentrieren – bis das Wort „microdosis“ fällt. Ich frage nach und wir wechseln auf Englisch. Sie nimmt die Fläschchen in die Hand und unter Pilzen, Peyote, und anderen Psychedelika stellt sie mir die Ayahuasca-Mikrodosis vor, den „Zaubertrank der Großmutter“. Wie hypnotisiert nehme ich ihn in die Hand. Ich höre schon seit Jahren den Ruf des Geistes von Ayahuasca. Ich weiß nicht, ob es daran liegt, dass meine Vorfahren mütterlicherseits brasilianische Ureinwohner waren und die Herstellung von Ayahuasca von brasilianischen Ureinwohnern stammt oder ob es einfach das ist, was ich seelisch brauche. Meine Erfahrung mit Bufo Alvarius, mexikanischem Krötengift (ich erzählte auf IGTV), war so tiefgreifend, dass ich das Gefühl hatte, alle Psychedelika dieser Welt auf einmal genommen zu haben und nie wieder eins zu brauchen … außer Ayahuasca. Es ist diese eine Sache, die mich nicht loslässt. Und doch waren die letzten Monaten schwierig. Ich fühle mich nicht stabil genug an einer echten Ayahuasca-Zeremonie teilzunehmen, die viele Stunden dauern kann, extrem intensive Halluzinationen hervorruft und bei der man sich zur seelischen Reinigung von Traumata mehrmals übergibt.

Aber dieses Mikrodosis-Ayahuasca hier in meiner Hand … es könnte die Lösung sein. Mit einem stark verdünnten Anteil des Wirkstoffes aus Banisteriopsis Caapi, einer Lianenart aus dem brasilianischen Dschungel, ist das Ziel der Mikrodosis, dass die bewusstseinserweiternden Eigenschaften im Hintergrund ablaufen, sodass man die Wirkung im Alltag kaum spürt, über die Zeit aber trotzdem eine emotionale Transformation bemerken kann. Von Ayahuasca wird gesagt den Geist einer Großmutter zu besitzen, der vor allem die weibliche Ahnenlinie und ihre Generationentraumata heilen kann. Ich weiß nicht, ob ich bereit dafür bin. Ich habe den Tod meiner Großmutter und meiner Mutter mittlerweile verdrängt. Möchte ich mich dem wieder stellen? Wenn auch nur unbewusst durch den geringen Wirkanteil? Ich stelle das Fläschchen wieder zurück. Ich möchte nachdenken, während ich den restlichen Markt erkunde. Versunken gehe ich an den Ständen vorbei, höre meine Freundinnen lachen und sich mit den Verkäuferinnen über Seifen und Kräuterblumenlollis austauschen. Ich kann mich auf nichts konzentrieren, obwohl all die Dinge, für dich ich hergekommen war, in greifbarer Nähe sind.

Am Ende gehe ich nur mit dem kleinen Fläschchen in der Hand.

Es ist mittlerweile Nachmittag. Ich bin zurück, satt und müde von einem üppigen Mittagessen und lasse mich auf das Bett fallen. Wie wäre es, wenn ich vor meinem Mittagsschlaf ein paar Tropfen nehme? Ich wälze mich auf die Seite, hole das Fläschchen aus der liebevoll bedruckten Papiertüte und lese die Anleitung. Täglich 20 Tropfen? Ist das nicht etwas viel? Die ewige Skeptikerin in mir meldet sich zu Wort. „Du wirst davon eh nichts spüren.“ Auch nach 20 Jahren Magie-Praxis und zahlreicher übernatürlicher Erfahrungen mit der Geistwelt zweifle ich manchmal noch immer an allem. Alles nur Einbildung, Placeboeffekt. Von daher … kann ich mir auch gönnen. Macht ja eh keinen Unterschied. Immer rinn damit! Ich ziehe die Pipette auf und zähle die Tropfen, die süßlich meine Zunge benetzen. Das Fläschchen landet wieder auf meinen Nachtschrank und ich spüre, wie ich schnell in einen leichten Schlaf sinke. 

Die Bilder beginnen zu rasen wie in einem Zeitraffer, ungeordnet, ohne Zusammenhang, viele tausende Eindrücke in nur wenigen Minuten. Plötzlich höre ich eine Stimme. „Wach auf.“ Ein Teil meines Bewusstseins wacht tatsächlich auf, der andere befindet sich noch in dieser merkwürdigen Traumwelt. Auch mein Körper schläft noch. Es ist nicht das erste Mal, dass ich einen Zwischenzustand aus Schlafen und Wachen erlebe, aber dieses Mal ist es anders. Ich spüre, wie ich den schlafenden Teil meines Geistes aus einer anderen Dimension ziehen muss so zäh wie Kaugummi. Zum allerersten Mal spüre ich diese Grenze, diesen Übergang zurück in diese Welt und staune darüber, wie weit weg ich mich anscheinend von ihr befinde. Doch dann schnellt mein Bewusstsein scheinbar über viele Millionen Lichtjahre endgültig zurück. Ich öffne die Augen und richte mich auf. Verwirrt taste ich nach meinem Handy und stelle erstaunt fest, dass ich ganze zwei Stunden statt nur ein paar Minuten geschlafen habe. „Interessant“, denke ich, aber schüttele die Erfahrung ab. Placebo halt.

Der Sonntag vergeht mit einem Spaziergang, ein paar Gesprächen mit den anderen Bewohnern meines Hauses und ein paar letzten Besorgungen aus dem Supermarkt (ja, die haben hier in Mexiko auch sonntags geöffnet). Es ist Regenzeit und so wie jeden Abend beginnt es bis nachts in Strömen zu gießen. Ich genieße die Geräusche und das Wetterleuchten und dann ist es irgendwann auch schon wieder Zeit, zu Bett zu gehen. Wie üblich gehe ich vorher auf Geistreise, was ich normalerweise dann auch gleich als Übergang in den Schlaf nutze. Nur kurz denke ich nochmal an die paar Tropfen, die ich vor meinem Mittagsschlaf genommen habe, bin mir aber sicher, dass wenn es überhaupt eine Wirkung gab, sie sich schon längst abgebaut hat.

Mein Körper ist kalt. Eiskalt. Um mich herum laufen – so scheint es – besorgt viele Menschen. Sie sprechen eine Sprache die ich nicht verstehe. Ich liege auf dem Boden eines Urwaldes. Ein geheimnisvolles Leuchten dringt unter den Blättern der Bäume und Büsche hervor. Warum sind die Menschen so besorgt? Es ist schön hier. Dann taucht ein Gesicht vor mir auf und spricht mit Dringlichkeit in der Stimme. Ich verstehe zwar nicht die Worte, aber den Sinn: „Wir müssen dich hier wegbringen.“

Dann werde ich hochgehoben. Mehrere Menschen tragen mich durch den Dschungel einen Pfad entlang. Dann erblicke ich einen gewaltigen, leuchtenden Baum. „Der Baum des Lebens“, geht mir durch den Kopf. Als wir näherkommen, sehe ich, dass der Stamm nicht aus Holz besteht, sondern aus Menschen. Ich werde in den Stamm gelegt. In dem Moment spüre ich Wärme, die Wärme meiner Mutter, meiner Großmutter… Sie sind hier.

Panisch greife ich mir an den Hals. Ich ersticke! Ich ersticke! Meine Zunge klebt am Gaumen. Ich habe vergessen, welche Muskeln ich bewegen muss, um atmen zu können. WIE GEHT ATMEN?! Ich schlage um mich. Etwas in meinem Hals löst sich. Ich weiß nicht, ob ich zuerst ein- oder ausatme, aber irgendwann spüre ich den erlösenden Sauerstofffluss in meinen Lungen. Über die Bettkante gebeugt schnappe ich nach Luft. Mir ist kotzübel. Muss ich mich übergeben? Mein Mund läuft mit Speichel voll. Ich schlucke und schlucke, bis es etwas besser wird und ich mich wieder in die Kissen fallen lasse. Mit einer Atemübung beruhige ich mich ein wenig. „Eine Panikattacke“, denke ich verwundert. Ich will es nicht wahrhaben, schließlich hatte ich schon so lange keine Panikattacke mehr. Es wäre solch ein Rückschritt. Mit aller Macht versuche ich, weiterzuschlafen, doch jedes Mal, wenn ich gerade wegdämmere, reißen mich Luftnot und Übelkeit wieder aus dem Schlaf. „Es kann nicht sein…“, denke ich. Die Dosis von Ayahuasca ist viel zu gering, vor allem jetzt nach sieben, acht Stunden, als dass sie noch Übelkeit auslösen würde. Auf der anderen Seite hatte meine Geistreise vor dem Einschlafen einen ganz klaren Bezug zu meinen brasilianischen Ahnen. Vielleicht wirkt der Geist der Großmutter doch so stark in mir? Will sie mich reinigen? Bringt sie Traumata hoch, die noch nicht ganz geheilt sind? Irgendwie bringe ich die Nacht hinter mich, mit dem Entschluss, am nächsten Tag Kontakt zu ihr aufzunehmen.

Golden und warm scheint die Sonne in mein Zimmer, während ich übermüdet und erschöpft, wie nach einem schweren Kampf, das Fläschchen wieder einmal in der Hand halte. Vielleicht sollte ich es einfach ganz lassen? Ich kann mir nicht noch so eine brutale Nacht leisten. Aber da ist wieder dieses leise Flüstern und Ziehen. Vielleicht kann sie etwas sanfter zu mir sein. In Gedanken bitte ich die Großmutter um Vergebung, dass ich ihre Medizin so achtlos benutzt habe. Ich nehme nur drei Tropfen in der Hoffnung, dass die Dosis so niedrig ist und bis zum Abend die Wirkung so gering ist, dass ich sie wirklich nur noch unterbewusst spüre. Doch mit den Geistern der Erde ist nicht zu spaßen. Sie sind nicht abhängig von den chemischen Eigenschaften ihrer Pflanzenkörper. Und so vergeht ein weiterer Tag.

Das Licht ist so klar, die Luft auf meiner Haut frisch und kühl. Die Erde unter meinen nackten Füßen ist hart und rau. Einem Teil von mir ist bewusst, dass mein Körper schläft. Doch das hier ist kein normaler Traum, in dem alles irgendwie wirr und verschwommen ist, in dem man nicht Lesen oder Rechnen oder mit voller Wucht zuschlagen kann. Das hier scheint so viel realer als die Realität zu sein, hyperreal. Das Gewicht und die Bewegungen meines Körpers, die Klarheit meiner Sicht – fasziniert teste ich meine tausendfach schärferen Sinne aus, während sich vor mir etwas formiert. Es sieht aus wie bemalte braune Ledertücher, die in einem Wirbel umeinander fliegen und sich verdichten. Plötzlich steht eine winzige, vom Alter gezeichnete Frau in Lederkleidern vor mir. Ihre Haut ist dunkelbraun. Viele Falten graben sich in ihre Wangen. Noch immer fasziniert von den hyperrealen Eindrücken gehe ich um sie herum, wie um ein Kunstwerk. Es kommt mir nicht in den Sinn, dass das hier DIE Großmutter ist. Stattdessen bewundere ich die Fähigkeit meines Gehirns solch eine Realität zu erschaffen oder zu betreten, die in keinster Weise der Realität im Wachzustand nachsteht. Erst als ich der kleinen, alten Frau in die Augen blicke, erkenne ich, dass sie nicht menschlich ist.

Plötzlich höre ich eine Stimme und werde in einen Traum gezogen, der sich auch wirklich wie ein Traum anfühlt. Ich liege mit einer Freundin in einem Zelt. Anscheinend campen wird. Verängstigt höre ich sie sagen: „Findest du es nicht komisch, dass jemand über uns rüberläuft?“

Dann wache ich weiter auf. Ich liege auf der Seite in meinem Bett. Die Matratze in meinem Rücken wird eingedrückt wie von einer Person, die auf ihr herumläuft. Dann drückt sich die Matratze genau vor meinem Gesicht ein, so als sei sie über mich herübergestiegen. Als nächstes höre ich ein hämisches Lachen aus meiner Kehle. Es weckt mich endgültig. Mit klopfendem Herzen richte ich mich auf, die Laute aus meinem Mund noch immer in den Ohren, als ob sie durch mich sagen wollte: „Du hast nicht an mich glauben wollen, aber hier bin ich.“

Halb verängstigt danke ich ihr für die Lektion.

Nachtrag: Nach diesen ersten zwei Nächten extrem intensiver Kontaktaufnahme hat sich die Lage beruhigt und ich würde sagen, die Ayahuasca-Mikrodosis wirkt so, wie ich es mir vorgestellt habe. Es kommen Themen hoch, von denen ich nicht gedacht habe, dass sie eine Aufarbeitung bedürfen, insbesondere was meine weibliche Ahnenlinie angeht. Plötzliche Erkenntnisse, Träume und manchmal spontanes Losweinen begleiteten mich in den letzten 10 Tagen und ich spüre, wie der Geist von Ayahuasca mich reinigt und vieles heilt. Es ist noch ein langer Prozess, aber ich bin dankbar, dass ich diese Unterstützung gefunden habe. Für die Interessierten – ich denke, Ayahuasca-Mikrodosis wirkt individuell verschieden. Als Tipp aber: Auch wenn es niedrig dosiert ist, gehe mit Respekt an die Sache ran und nimm am besten vorher durch ein kleines Ritual Kontakt zu ihrem Geist auf.

4 Kommentare

  1. Kannst du die kontacktaufnahme zu der Verkäuferin organisieren??

    Oder kennst du eine Seite wo ich das bestellen kann ?.

    Würde zu gern das auch ausprobieren , da Schattensrbeit allein nicht wirklich ausreicht bei mir, da soviele Traumatas hab …villt wird mir das beim heilen helfen.

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    • Hi, ich habe es von einer Verkäuferin hier in Mexico City bekommen, @magicahierberia auf Instagram. Ich weiß aber leider nicht, ob sie nach Deutschland verschickt, und ob es in Deutschland legal ist.

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  2. Ey, ey du machst wieder Sachen 😉
    Klingt auf jeden Fall spannend und interessant. Bin mal gespannt, wie es sich weiter entwickeln wird.
    Danke fürs Teilen deiner Erfahrungen.

    Gefällt 1 Person

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