Spiegel, Macht und Liebe – Toxische Beziehungen aus magischer Sicht

„Warum schreibt er nicht?“ Genervt glotze ich zum zehnten Mal auf mein Handy und nehme einen Bissen von meiner Pizza. Nur das flackernde Bildschirmlicht meines Laptops erhellt den Raum. Irgendeine Doku über Streetfood in Asien läuft. Er hat sich so interessiert angehört, ist mir sofort gefolgt, hat gefragt, ob wir uns treffen wollen. Doch dann… nichts mehr. Mein Handy landet auf der weichen Bettdecke. Ich bin nicht blöd. Natürlich weiß ich, dass das Angebot in Zeiten von Tinder & Co. so übermäßig groß ist, dass der Typ, den ich gut finde, wahrscheinlich schon drei alternative Dates hat. Ich sollte eigentlich daran gewöhnt sein, es abschütteln und so wie er einfach weiterschauen. Aber irgendetwas hindert mich. Es ist dieses Gefühl, dieser Druck, ständig gucken zu müssen, ob er nicht doch noch schreibt. Vielleicht können meine Lenormand-Karten ja Antwort geben oder ich schau mal in Trance in ihn hinein? Nein! Davon ab, dass es den Druck durch die aktivierte Verbindung nur noch verstärken wird – verdient es so ein kurzes Hinundhergeschreibse-Ding mit irgendeinem dahergelaufenen Typen, den ich noch nie getroffen habe, einfach nicht.

„Mach dich nicht lächerlich“, denke ich mir und zwinge mich, mich abzulenken.

Ich hatte mich ja auch eigentlich für viel, viel weiterentwickelt gehalten. Die Zeiten in denen dieser Druck unerträglich groß schien, in denen ich mich ihm vollkommen ausgeliefert und dank meiner Borderline-Persönlichkeitsstörung wie fremdgesteuert gefühlt habe, sind durch Therapie und ihrer typischen Verwachsung in den Anfang-Dreißigern vorbei. Trotzdem ist er ab und an noch da und wird durch das oben beschriebene Verhalten getriggert. Und wie ich meinen regelmäßigen Beratungsanfragen seit über 5 Jahren entnehmen kann, auch bei vielen anderen Menschen, hauptsächlich Frauen. Woher kommt also diese Kluft beim Daten? Dass (hauptsächlich) Männer sich so sehr entziehen und (hauptsächlich) Frauen so stark klammern?

Es wurde schon so viel zu der Beziehungsunfähigkeit meiner Generation geschrieben, doch ich möchte einen Blick in unseren spirituellen Schatten werfen. Und wie so oft schenkt uns die Astrologie mit ihrer Bildersprache ein schönes Mittel, um hinter die Kulissen zu blicken. Meine Generation (Millennials) hat kollektiv einen Skorpion-Pluto. Pluto, der Planet der Macht(-spiele), Abhängigkeiten, Sexualität, aber auch der Unterwelt, des Todes und der Transformation befand sich zu unseren Geburten in seinem eigenen Zeichen mit denselben Eigenschaften. Um es zu übersetzen – meine Generation hat extreme Erfahrungen mit Macht und Ohnmacht gemacht und ist in emotionale, mentale und körperliche Abhängigkeiten (dieses ganze Gesaufe??) geraten, die sie in ihre tiefste Unterwelt, in die Schatten ihres Unbewussten geführt hat. Aber hier endet es nicht. Denn Pluto transformiert, ganz besonders im Skorpion. Diese Transformation ist brutal und tötet alles, was dem höchsten Wohl nicht dient.  Doch sie ist notwendig und bringt, wenn sie vollendet ist, etwas Gewaltiges heraus. Schaut man sich um, sieht man, wie sehr Spiritualität gerade boomt. Schattenarbeit, die Beschäftigung mit dem Spiegelprinzip, Psychotherapie – so viele Menschen heilen. Und für viele, viele Frauen, mit denen ich gesprochen habe, war gerade die emotionale Abhängigkeit von einem Mann Anstoß, sich in die eigene Unterwelt zu begeben und zu schauen, was der Kern dieser Machtlosigkeit ist.

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Was ist also der Kern? Normalerweise geht die Geschichte so: Mann zeigt Frau sein Interesse. Frau zögert, ist sich nicht sicher, ob sie an ihm interessiert ist. Mann gibt sich Mühe. Frau gibt Mann eine Chance. Beide daten für eine Weile. Wenn es ernster wird, zieht Mann sich zurück. Frau wundert sich und fragt nach. Mann gibt keine zufriedenstellende Antwort und zieht sich weiter zurück. Frau beginnt obsessiv zu klammern, was ihn noch mehr abstößt. Mann entfernt sich weiter, löst die Verbindung aber nicht ganz. Frau verbleibt manchmal Jahre in der emotionalen Abhängigkeit, während Mann ihr hin und wieder Krümel zuwirft.

Wie man sieht, entwickelt sich relativ schnell ein extremes Machtgefälle von einer Person zur anderen. Viele Männer argumentieren dann, dass sie einfach keine Beziehung wollen. Was auffällig ist, ist aber, dass sie sich trotzdem nicht ganz von der Frau trennen. Hin und wieder eine Nacht zusammen, hin und wieder eine Nachricht. Viele werden es sich schon denken (und viele sogenannter Pickup-Coaches bestätigen es), es geht um Macht. Es geht darum, die andere Person in der emotionalen Abhängigkeit gefangen zu halten. Viele Frauen denken dann, dass der Mann doch irgendwelche Gefühle für sie haben muss. Er kann sich ja scheinbar auch nicht ganz lösen. Doch wovon er sich nicht lösen kann, ist von seiner Machtposition. Denn um es ganz klar zu sagen: Macht ist das Gegenteil von Liebe. Macht auf diese Weise auszuüben, bewirkt Trennung voneinander. Liebe aber verbindet. Sie sucht das Beste für den anderen. Sie gibt. Das gilt genauso andersherum: Ohnmacht ist das Gegenteil von Liebe. So oft haben mir schon Frauen gesagt, dass sie den Mann in ihrem Leben eigentlich nur noch hassen, sich aber trotzdem nicht lösen können. Die emotionale Abhängigkeit, die du spürst? Der Druck, der dich zwingt, zuerst zu schreiben? Es ist nicht die Liebe in dir, die dich dazu drängt, es ist der Widerstand gegen die Ohnmacht. 

Warum sind so viele Männer also süchtig nach dieser Macht über eine Frau, dass sie selbst, wenn sie sehen, wie sehr sie leidet, die Beziehung nicht offiziell beenden können?

Es gibt natürlich viele psychologische Gründe, doch ich möchte es aus der magischen Spiegel-Perpektive betrachten. Ihr zufolge ist alles, was, wir im Außen erleben Spiegel unseres Innen. Insbesondere die Beziehungen mit anderen Menschen geben uns Aufschluss darüber, welche Beziehung wir zu uns selbst pflegen.

Gehen wir also zum Anfang zurück und übersetzen die Geschichte.

„Mann zeigt Frau sein Interesse.“

Spiegel: „Mann sucht die Verbindung mit sich selbst“. 

„Wenn es ernster wird, zieht Mann sich zurück.“

Spiegel: „Mann spürt, dass eine echte Verbindung mit sich selbst nicht möglich ist und kappt den Versuch.“

„Frau beginnt obsessiv zu klammern, was ihn noch mehr abstößt.“

Spiegel: „Zu sehen, wie unmöglich die Verbindung mit sich selbst ist, stößt Mann noch mehr von sich ab.“

„Mann entfernt sich noch mehr, löst die Verbindung aber nicht ganz. Frau verbleibt manchmal Jahre in der emotionalen Abhängigkeit, während Mann ihr hin und wieder Krümel zuwirft, damit sie sich nicht lösen kann.“

Spiegel: „Die Distanz zu sich selbst lindert den Schmerz über die eigene Unfähigkeit, sich selbst zu lieben. Das Bedürfnis nach Verbindung mit sich selbst bleibt jedoch bestehen, sodass Mann sich in einem ständigen Balanceakt zwischen Selbstablehnung und dem Versuch, sich näherzukommen gefangen bleibt.“

Viele wissen nicht, wie wahr der Satz „Ich bin noch nicht bereit für eine Beziehung“ ist. So viel wahrer als gedacht. Diese Person ist nicht bereit für eine Beziehung – mit sich selbst. Und wenn sie keine Beziehung mit sich selbst haben kann, wenn sie sich selbst nicht annehmen, lieben, wertschätzen kann, wenn sie sich nicht um ihre eigenen Bedürfnisse kümmern und ihre Grenzen nicht wahren kann, dann kann sie das auch nicht für eine andere Person tun, zumindest nicht auf eine gesunde Art und Weise. Denn hier kommen wir wieder zum Machtthema.

Es ist, wie wir gesehen haben, nicht so, dass Männer die Beziehung beenden und das war’s. Nein, sie halten sie gezielt am Laufen mit so wenig wie möglich und so viel wie nötig Aufmerksamkeit, um die Frau in der Abhängigkeit zu behalten. Der Grund ist, dass sie sich sehr wohl nach Verbindung mit sich selbst sehnen, aber nicht wissen, wie sie diese eingehen können. Statt sich selbst zu lieben, kommt also nur Machtausübung als Liebesersatz – auch sich selbst gegenüber – in Frage. „Wenn ich mich unter Kontrolle habe, bin ich wenigstens ein bisschen mehr bei mir. Eigentlich will ich eins sein, aber ich lehne mich ab. Ich bin gespalten. Und wenn ich den gespaltenen Teil nicht durch Liebe bei mir behalten kann, dann halt durch Macht.“

Und hier komme ich zum Grund, weswegen ich entgegen aller Genderinklusivität (die ich eigentlich mehr als unterstütze) ausdrücklich Männer benenne. Denn ich denke, dass Menschen, die in unserer Gesellschaft als Männer sozialisiert wurden, seit Generationen darauf getrimmt wurden, Macht und Machtausübung als Liebesersatz zu sehen. Es ist noch immer nicht selbstverständlich, dass Männer über Emotionen und ihren seelischen Schmerz reden können. Sich mit sich selbst zu beschäftigen, mit den eigenen Schatten und sich selbst – auch mit allen Fehlern – zu lieben und anzunehmen, wird immer noch als unmännlich empfunden. Es ist also kein Wunder, dass viele von ihren eigenen Gefühlen und damit von sich selbst abgespalten herumlaufen und diese Abspaltung nach außen spiegeln. Macht ist hier die einzige „männliche“ Form der Kontaktaufnahme und Verbindung, die ihnen übrigbleibt.

Das Schöne aber ist, dass meine Generation die wahrscheinlich erste ist, die tief in die Unterwelt getaucht ist, um diesen Jahrtausende alten Schmerz ans Licht zu holen und zu heilen. Und so brutal diese Erfahrung auch war und ist, so helfen wir uns gegenseitig als Spiegel zu erkennen, wo wir Heilung benötigen.

Und damit kommen wir zu den Frauen. Ja, was ist denn eigentlich unser Problem?

Wir haben mittlerweile festgestellt, dass es für Frauen nicht um unerwiderte Liebe geht, sondern um Ohnmacht und Abhängigkeit. Übersetzen wir auch hier die die wichtigsten Sätze der Geschichte in die Spiegelperspektive.

„Mann gibt sich Mühe. Frau gibt Mann eine Chance.“

Spiegel: „Frau bekommt Wert zugesprochen und sucht nach einer Verbindung zu sich selbst.“

„Beide daten für eine Weile. Wenn es ernster wird, zieht Mann sich zurück. Frau wundert sich und fragt nach. Mann gibt keine zufriedenstellende Antwort und zieht sich weiter zurück. Frau beginnt obsessiv zu klammern.“

Spiegel: „Frau sieht in der Verbindung zu Mann dein eigenen Wert und Verbindung zu sich selbst. Sobald Mann die Verbindung löst, erfährt Frau Ablehnung und Trennung von sich selbst. Klammern stellt ein Weg dar, weiterhin mit sich selbst verbunden zu bleiben und sich anzunehmen.“

„Frau verbleibt manchmal Jahre in der emotionalen Abhängigkeit, während Mann ihr hin und wieder Krümel zuwirft, damit sie sich nicht lösen kann.“

Spiegel: „Die einzige Möglichkeit, sich mit sich selbst verbunden und wertvoll zu fühlen, stellt die Annahme durch den Mann dar. Es wird alles dafür getan, egal über welchen Zeitraum, um mit sich verbunden zu bleiben. Jeder Krümel ist ein Hoffnungsschimmer.“

Auch hier habe ich bewusst Frauen benannt, weil ich denke, dass Menschen die in unserer Gesellschaft als Frauen sozialisiert wurden, ebenfalls seit Generationen darauf getrimmt wurden, ihren Wert ausschließlich aus der Akzeptanz und Annahme anderer Menschen, insbesondere der von Männern, zu ziehen. Wenn es für Männer überspitzt gesagt nur das Ich gibt, gibt es für Frauen nur die Anderen. Der eigene Wert bzw. fast schon die ganze eigene Existenz wird durch die Umwelt festgelegt. Von einem Mann abgelehnt zu werden, ist ein Schicksalsspruch, der unhinterfragt angenommen wird. „Wenn er mich ablehnt, lehne auch mich ab.“ Das ist die Definition von Ohnmacht. Und das ist auch der Grund dafür, dass die toxische Beziehung normalerweise in einer rein körperlichen Beziehung endet. Denn auch das wurde Frauen beigebracht: „Wenn er dich schon nicht liebt, dann liebt er wenigstens deinen Körper. Hier besitzt du deinen einzigen Wert.“ Und hier besitzen Frauen die einzige Form von Macht, weswegen das Angebot für F+ den letzten verzweifelten Schritt darstellt, doch noch ein wenig Wert zugesprochen zu bekommen.

Die Verbindung zu sich selbst, wird vollständig von der Umwelt abhängig gemacht, was aber in und für sich ein Paradoxon darstellt. Denn die Reaktion der Umwelt kann nur Spiegel des Inneren sein. Noch vor jeder Interaktion und Beziehung besteht ein Bruch mit sich selbst, eine innere Ablehnung, wenn nicht sogar das gesamte Fehlen einer inneren Identität.

Auch hier ist es ein Jahrtausende alter Schmerz, der in den Frauen meiner Generation hochgekocht ist und nicht mehr in den Schatten zu halten ist. Doch er ist da, um geheilt zu werden. Unsere Lernaufgabe ist es, uns unseren eigenen Wert zuzusprechen, um uns so wahre Macht zurückzuholen und unseren Geist und nicht nur unseren Körper zu lieben und anzunehmen und seine Schönheit zu sehen, auch selbst wenn die Umwelt uns ablehnt. 

Erst wenn diese Schmerzen sowohl in Männern und Frauen (und natürlich in allen nicht-binären Menschen) geheilt sind, werden wir wahrhaft gesunde Beziehungen führen können, die Ausdruck und Spiegel der Liebe und Annahme in uns selbst sind. Erst dann können wir unser Gegenüber als die Person sehen, die sie ist und nicht nur als Personifikation unseres tiefsten Leidens.

Das heißt natürlich nicht, dass wir bis dahin keine Beziehungen führen dürfen, sondern nur, dass wir bewusster mit ihnen umgehen sollten und die Lernaufgaben, die sie uns als Spiegel bereithalten, annehmen.

Dann könnte es sich zur größten Heilung entwickeln, die die Menschheit je erlebt hat.

4 Kommentare

  1. Wundervoller Artikel! Vielen Dank, fu beschreibst eigentlich zu 100% genau, was ich und meine Generation so alles durchgemacht hat und durchmacht.

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  2. Ich musste schmunzeln, aber deswegen da ich in der geschriebenen “ Mann -Perspektive “ bzw. als du die möglichen Gründe hinter den Reaktionen geschrieben hast, ich mich selbst wieder erkannt habe, wie ich in der Vergangenheit reagiert habe. Interessanterweise war aber meine „Denkweise“ so, wie du sie bei den Frauen geschrieben hast.

    Auch das Gefühl » ich habe das doch schon so oft durchgekaut, warum wird mir das wieder serviert « kenne ich. Aus eigener Erfahrung kann ich nur sagen, man lernt meist dann weitere Schichten von seinem eigene Schmerz / Trauma o.Ä. kennen.

    Und bzgl. dem letzten Abschnitt: tatsächlich habe ich bis jetzt am meisten Heilung durch die Beziehung erlebt. Jedoch ist das nicht unbedingt so selbstverständlich, da es von beiden Seiten ein große Menge Geduld braucht, Einfühlungsvermögen und die wahrhaftige Absicht, dass zusammen zu machen.

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  3. Unfassbar interessant. Endlich mal eine Antwort darauf, warum wir uns verhalten wie wir uns verhalten in solchen Angelegenheiten. DANKE Sonia.

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