Wohin mit mir?

Grelles Licht schmerzt meine Augen. Sie haben sich Mühe gegeben, den Raum so sanft wie möglich zu erhellen, mit indirekten Installationen, die als leuchtende Streifen über den Köpfen der anderen entlanglaufen. Doch es bringt nichts. Es schmerzt bis in meinen Hals. Nur der Geruch von Kaffee und Brötchen lindert das brutale Aufwachen in einem Flugzeug. In der Dunkelheit draußen glitzern viele tausende Punkte. Manche davon Sterne und manche davon Straßenlichter. Und wieder falle ich. Doch diesmal nur langsam und vorsichtig mit dem Gewicht des Flugzeugs. Wir sind im Landeanflug.

„Wie wird es wohl werden?“

Die letzten Monate habe ich auf diesen Moment hingefiebert. Als ich das erste Mal nach Mexiko City gekommen bin, hatte ich eigentlich nicht damit gerechnet, dass diese große Stadt, die man nur als gelbe und versmogte Metropolenhölle von Bildern kennt, in Wirklichkeit grün und verspielt und wunderschön ist. Aber ich kenne mich. Ich verliebe mich schnell und heftig auf den ersten Blick und auf den zweiten sieht die Welt schon anders aus. Ich weiß nicht, ob es meine Zwillings-Venus ist, aber ich verliere schnell das Interesse und brauche ständig neuen Input. Ich finde alles und nichts schön und das im ständigen Wechsel.

Wie wird es also werden, jetzt wo ich dabei bin, hierherzuziehen? War es vielleicht doch zu viel des Commitments?

Ich habe keine Zeit darüber nachzudenken. Wir sind gelandet und schon drängeln sich die Passagiere in den engen Gang, trotz der Durchsage, dass die Türen so nicht geöffnet werden. Sie bleiben einfach weiterstehen mit ihrem Gepäck in der Hand.  Ein wenig beschämt sehen ihre Gesichter aus, aber trotzdem regen sie sich nicht. So als ob sie denken, man könne sie nicht sehen. Gewaltphantasien. Ohrfeigennnnn! Rechts und links und rechts und links und – ich reiße mich zusammen. So soll mein neues Leben nicht beginnen. Irgendwann schaffe ich es aus dem Flugzeug, hole verschwitzt und übermüdet mein Gepäck ab und panike, weil ich vergessen habe, meine Simkarten auszuwechseln. Rumgekrame, noch mehr schwitzen, irgendwie mit tausend Taschen ein Taxi buchen und endlich, endlich aus dem Flughafen herausstolpern. Er trifft mich direkt ins Herz – der Duft von Mexiko. Unter den Gerüchen einer Großstadt liegt er wie ein Versprechen von Magie, von Erde, Weihrauch und einem frisch bezogenen Bett. 

Die mexikanische Hochebene

Der nächste Morgen ist wieder hektisch. Wenn die Menschen in Mexiko City eins sind, dann sind sie sozial. Man wird sofort zum Abendessen, zu Drinks, zu Feiern eingeladen. Es passiert fast automatisch, dass man innerhalb eines Tages neue Freunde hat. Und jetzt bin ich auch schon auf dem Weg nach Acapulco, um einen Geburtstag mit einer Gruppe Frauen zu feiern. Wir fahren mit dem Auto, unterhalten uns und lachen, während raue Landschaften erleuchtet von dem warmen Licht der untergehenden Sonne an uns vorbeiziehen. Auch ich lache, aber merke zum ersten Mal, wie unsicher mich die letzte Zeit gemacht hat. Meine Stimme ist brüchig. Ich habe Schwierigkeiten, die richtigen Worte zu finden. Die Leichtigkeit ist nicht mehr da, stattdessen die alten Sorgen. Was, wenn ich einen Fehler gemacht habe? Ich bin fast Mitte dreißig. Jetzt nochmal von vorne anfangen? Was ist überhaupt das Ziel? Wo will ich hin? Was mache ich hier? Meine Kehle schnürt sich zu.

Irgendwann erreichen wir Acapulco und auch die anderen, die mit dem Bus angereist sind, kommen an. Ich werde in die Arme geschlossen von Frauen, die mich gerade einmal drei Monate kannten. Das Meer rauscht gegen die hohen Felsen, während wir uns in den nächsten Tagen die Karten legen, unter der Sonne Musik machen, schwimmen und unsere Herzen sich verbinden. Zum ersten Mal seit Beginn meiner Reise versiegt meine Angst. Ich bin nicht in Mexiko, weil es ein schöner Ort ist. Ich bin hier, weil es meine neue Heimat ist. Und so komme auch ich endlich an.

4 Kommentare

  1. Zwillinge-Venus, da können wir uns die Hände reichen. Und auch ich kenne dieses Gefühle nur zu gut, was du beschreibst außer diesem » auf dem ersten Blick heftig verlieben «.
    Ich habe für mich diesbezüglich realisiert, dass es immer von der Suche getrieben worden ist, einen Ort zu finden, wo man sich wirklich zu Hause fühlt.
    Und erst als ich diesen Ort auf andere Art und Weise gefunden habe, Dank Unterstützung ( 😉 ), bringt mir dieser Ort mit seinen Wesenheiten viel Kraft und Durchhaltevermögen.

    Und bei deinen erwähnten Zweifeln fühle ich mit. Aber ich schau jetzt, dass mein Kommentar nicht genauso lang wird, wie dein Eintrag. :‘)

    Deswegen kürze ich ab und schreibe einen wohl 1000x gelesenen Satz: Vertraue in deinen Weg und darauf, dass du nie allein sein wirst.

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  2. Suena tan bonito !!!!
    Ich wünsche dir alles erdenklich gute 🙂

    Mir steht in den nächsten Jahren auch ein Umbruch vor, wo ich zurück zu meinen Wurzeln nach Spanien kehre 😊

    Buena suerte y mucho sol para ti ✨☀️

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  3. I feel with you – Sich zu schnell verlieben und auf den zweiten Blickt schaut es wieder anders aus! Ich weiß zwar nicht, ob meine Venus im Zwilling ist, kann davon aber ein Lied singen.
    War auch die ganze Zeit auf der Suche nach einem Perfekten Ort, habe bereits 4 Städte gewechselt aber immer noch nicht richtig angekommen.
    Was ich aber gelernt habe – es gibt keinen Zeil – der Weg ist das Ziel

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